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Das Konzil im Gedächtnis der Stadt

Leitung des DFG-Projekts: Prof. Dr. Birgit Studt

DFG-Projekt: Das Konzil im Gedächtnis der Stadt. Die Verhandlung von Wissen über die Vergangenheit in der städtischen Geschichtsschreibung am Oberrhein im 15. und 16. Jahrhundert.

Das Projekt suchte nach einem neuen Zugriff der städtischen Geschichtsschreibung des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit im Oberrheingebiet. Geschichtsschreibung der Stadt wird nicht mehr allein als von der Obrigkeit gesteuerte, legitimationsstiftende Geschichtskonstruktionen verstanden, sondern vielmehr als Teil des dynamischen Gedächtnisses der Stadt, in welchem die Vergangenheit zwischen verschiedenen städtischen Gruppen in historiographischer Form immer wieder neu ausgehandelt wurde. Den Ausgangpunkt für die Untersuchungen bildete die Konstanzer Konzilschronik, insbesondere die von ihr ausgehende Geschichtsschreibung. Die Konzilschronik ist ein in ihrer Form einzigartiger Bericht des Konstanzers Ulrich Richental über das von 1414 bis 1418 in Konstanz tagende Konzil, welcher mit einem umfangreichen Bildprogramm, ausführlichen Listen der Teilnehmer aus aller Welt sowie deren Wappen ausgestatten wurde. Folgerichtig hat die Konstanzer Konzilschronik viel Aufmerksamkeit erfahren, die sich jedoch meist auf den verlorenen Urtext, den Augenzeugenbericht des Ulrich Richental fokussierte, wobei aber die heute überlieferten Handschriften erst aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammen. Während sich die Forschung bislang darauf konzentrierte, diese Überlieferungslücke hin zu den Ereignissen des Konzils zu überbrücken, ging das Projekt konsequent von den in den Handschriften sichtbaren Überlieferungskonstellationen aus und fragte nach den Gründen für die Transformation des Texts im späten 15. Jahrhundert, zu einem Zeitpunkt, als die Ereignisse des Konzils bereits einige Zeit zurücklagen. Auch in der zweiten Rezeptionsphase der Konzilschronik während der Reformationszeit, als die Zeitgenossen Verbindungslinien zwischen den Lehren des in Konstanz als Ketzer verbrannten Jan Hus und denen Martin Luthers zu ziehen begannen, wird der hohe Erinnerungswert deutlich, den das Konzil für die Geschichtsschreibung des Oberrheingebiets besaß. Der Text der Konzilschronik hatte sich längst von ihrem Verfasser Richental gelöst und bot seinen verschiedenen städtischen Rezipienten in Konstanz und am Oberrhein ein reichhaltiges Angebot an historischem Wissen, dessen Funktionalisierung und Refunktionalisierung durch Überlieferungsanalysen beschrieben werden soll.

In diesem neuen Zuschnitt wurde im Projekt die Vernetzung der städtischen Geschichtsschreibung, speziell in den oberrheinischen Bischofsstädten Konstanz, Basel und Straßburg, untersucht. Dabei bildetet die Konstanzer Konzilschronik den Ausgangspunkt, von deren Überlieferung aus die Studien auf andere ausgewählte Schlüsseltexte ausweitet wurden, die in ähnlicher Weise zwischen den Städten weitergegeben, umgeformt und miteinander kombiniert wurden. Den wichtigsten Referenzpunkt hierfür bildete die Straßburger Chronik Jakob Twingers von Königshofen.

Fallstudie 1
Julian Happes: „Transformation und Nutzung der Konstanzer Konzilschronik im späten 15. Jahrhundert“

Noch nicht abgeschlossen, siehe aber Publikationen.

Fallstudie 2
Dr. Pia Eckhart: „Konzil und Konzilschronik in der Reformationszeit“

Die Studie nimmt ihren Ausgangspunkt von dem regional-historischen und städtischen Bezugs­rahmen des synodalen Ereignisses, zeigt aber, dass das Konzil seine Wirksamkeit erst aus seiner Rezeption erhielt. Sie hat die dynamische Qualität des lokalen Gedächtnisses aus den unterschiedlichen Bezugnahmen auf das Konzil herausgearbeitet, die sowohl durch die Anhänger wie die Gegner der Reformation formuliert wurden. Für beide Seiten diente das Konzil als Chiffre, um die sich die Deutung der Stadt­geschichte rankte; während die eine das Konzil als Höhepunkt der Stadt­geschichte deutete, sah die andere in seinem „falschen pfaffentum“ die Negativ­folie für die eigene, positive Gegenwart, die mit ihrer neuen Ordnung vom Auserwähltsein der Stadt zeugt. Abgesehen von diesem konfessionell geprägten Bezugnahmen arbeitet Pia Eckhart aber auch die frühen Beispiele einer historischen Auseinander­setzung mit der historio­graphischen und dokumentarischen Überlieferung des Constantiense heraus. Die Konzils­chronik des Ulrich Richental war mit dem historisierenden Neudruck 1536 für neue historio­graphische Entwürfe gut greifbar. Doch interessanterweise stellen die Bearbeitungen durch Johannes Stumpf und Gregor Mangolt – anderes als es die ältere Forschung sah – ganz neuartige Texte dar, die durch Inserierung von Original­dokumenten – Briefen des Jan Hus, Konzilsakten etc. – Zeugnisse der historischen Auseinander­­setzung mit dem Konzil sind. Hier führte der Gegenwarts­­bezug des historischen Gedächtnisses gerade nicht zu konfessionellen Deutungen, sondern zur Ausformung einer differenzierten Vergangenheits­­deutung.

Fallstudie 3
Ina Serif: „Städtische Geschichtsschreibung in neuen Kontexten. Aneignung, Vernetzung, (Re-)Funktionalisierung am Beispiel der Straßburger Chronik Jakob Twingers von Königshofen“

Die Studie untersucht die Straßburger Stadt- und Weltchronik Jakob Twingers von Königshofen über ihren ursprünglichen Entstehungskontext hinaus. Lange nur als Modell städtischer Geschichtsschreibung verstanden, unterlag der Text weit über Straßburg hinaus Prozessen der produktiven Aneignung. Die deutschsprachige Chronik Jakob Twingers von Königshofen, deren Berichts­zeitraum von der Schöpfung bis zu Straßburger Ereignissen um 1400 reicht, ist bis in die Neuzeit hinein in über 120 Handschriften abgeschrieben worden; eine ständig aktualisierte Zusammen­stellung findet sich in dem Blogbeitrag „Der zerstreute Chronist“ auf Mittelalter Hypotheses https://‌mittelalter.‌hypotheses.org/7063; vgl. Publikationen.

Dabei wurde deutlich, dass ein Großteil der Überlieferung allerdings nicht aus vollständigen Abschriften besteht, sondern aus Exzerpten, bearbeiteten Fort­setzungen und Zusammen­stellungen mit anderen Texten. Frau Serif hat die unterschiedlichen Gebrauchsweisen eines ursprünglich städtischen Werks in seinem historischen, politischen bzw. sozialen Zusammenhang – also handschriftenextern –, aber auch in seinem kodikologischen Kontext – also handschriften­intern analysiert. Damit lenkt sie den bisherigen Fokus der Forschung weg von der Vorstellung des Werks als statisches Produkt hin zur Produktion und Rezeption in den einzelnen Handschriften. Methodisch hat Ina Serif für diese Untersuchungen unterschiedliche Ansätze aus den Forschungen zu städtischer Geschichts­schreibung, den Cultural Memory Studies, der New Philology und den Material Culture Studies herangezogen. Die Interessen der Rezipient*innen, die Überlieferungs­konfigurationen der Chronik im Zusammenhang mit anderen Texten sowie die Funktions­angebote und die Funktionen der Chronik aus ihrem potentiellen bzw. tatsächlichen Gebrauch heraus wurden dabei anhand ausgewählter Handschriften bzw. Überlieferungs­gruppen herausgearbeitet und vor dem Hintergrund aktueller methodischer und fachlicher Debatten neu eingeordnet.

Überraschenderweise zeigte sich damit die Chronik Jakob Twingers keineswegs als nur reines Produkt der Stadtgeschichtsschreibung gelten kann, nicht einmal nur als Modelltext für die städtische Geschichtsschreibung am Oberrhein, sondern als offener Text, der viele Anknüpfungspunkte der Rezeption bot und entsprechend für die Weitergabe und Vernetzung von historischem Wissen genutzt wurde.


Projektbezogene Publikationen und Vorträge

Publikationen

Eckhart, Pia/Studt, Birgit: Das Konzil im Gedächtnis der Stadt. Die Verhandlung von Wissen über die Vergangenheit in der städtischen Geschichtsschreibung am Oberrhein im 15. und 16. Jahrhundert. In: Ute Schneider und Martina Stercken (Hrsg.): Urbanität. Formen der Inszenierung in Texten, Karten, Bildern. Köln 2014, S. 83-104.

Eckhart, Pia: Konzil und Konzils­chronik im lokalen Gedächtnis. Die Kirchen­versammlung in der Konstanzer Publizistik und Historio­graphie der Reformations­zeit, in: Karl-Heinz Braun / Thomas Martin Buck (Hg.), Über die ganze Erde erging der Name von Konstanz. Rahmen­bedingungen und Rezeption des Konstanzer Konzils (Veröffent­lichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde B 212), Stuttgart 2017, S. 69-107.

Happes, Julian: Transformation und Nutzung der Konstanzer Konzils­chronik im späten 15. Jahrhundert. In: Mitteilungen der Residenzen­kommission der Akademie der Wissen­schaften zu Göttingen. NF: Stadt und Hof, Bd. 4 (2015), S. 69-82.

Happes, Julian: Rezeption, Transformation und Funktionalisierung des Ketzer­prozesses gegen Jan Hus in der Überlieferung der Konstanzer Konzils­chronik und der Schweizer Chronistik des 15. Jahrhunderts. In: Bulletin der Polnischen Historischen Mission 11 (2016), S. 51-86.

Happes, Julian: Im Südwesten nichts Neues? Text­allianzen in historio­graphischen Sammelhand­schriften. In: Pia Eckhart/Marco Tomaszewski (Hrsg.): Städtisch, urban, kommunal. Perspektiven auf die städtische Geschichts­schreibung des späten Mittel­alters und der Frühen Neuzeit (Formen der Erinnerung 69). Göttingen 2019, S. 145-174.

Serif, Ina: Städtische Geschichts­schreibung in neuen Kontexten. Vernetzung, Aneignung, (Re-)Funktionalisierung. In: Mitteilungen der Residenzen-Kommission der Akademie der Wissen­schaften zu Göttingen. NF: Stadt und Hof, Bd. 4 (2015), S. 83-90.

Serif, Ina: Der zerstreute Chronist. Zur Überlieferung der deutschsprachigen Chronik Jakob Twingers von Königshofen. In: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptions­geschichte, 5.12.2015, https://‌mittelalter.‌ hypotheses.org/7063.

Serif, Ina: Urban chronicles – urban consciousness? On the chronicle of Jakob Twinger von Königshofen in new codicological contexts. In: Bram Caers/Lisa Demets/Tineke Van Gassen (Hrsg.): Urban History Writing in North-Western Europe (15th–16th centuries) (Studies in European Urban History 47). Turnhout 2019, S. 47–61.

Serif, Ina: Es lige da und weiß niemans nüt darumb. Zur Öffentlich­keit städtischer Geschichts­schreibung. In: Pia Eckhart/Marco Tomaszewski (Hrsg.): Städtisch, urban, kommunal. Perspektiven auf die städtische Geschichts­schreibung des späten Mittel­alters und der Frühen Neuzeit (Formen der Erinnerung 69). Göttingen 2019, S. 71–94.

Serif, Ina: Geschichte aus der Stadt Überlieferung und Aneignungs­formen der deutschen Chronik Jakob Twingers von Königshofen, Berlin/Boston 2020 (Kultur­topographie des alemannischen Raums 11).

Vorträge

Eckhart, Pia: Konzil und Konzilschronik während der Reformations­zeit. Die Erinnerung an die Konstanzer Kirchen­versammlung in Historiographie und Publizistik. Vortrag auf der Tagung „Über die ganze Erde erging der Name von Konstanz". Jahrestagung der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg in Kooperation mit Geschichts­verein der Diözese Rottenburg-Stuttgart, Kirchen­geschichtlicher Verein für das Erzbistum Freiburg, Verein für Kirchen­geschichte in der Evangelischen Landes­kirche in Baden, Verein für württem­bergische Kirchen­geschichte, 29.-31.05.2014 (Tagungs­bericht unter https://‌www.hsozkult.de/‌conferencereport/‌id/‌tagungs‌berichte-5500).

Serif, Ina: Urban chronicles – urban perspectives? Historical texts in new codicological contexts. Vortrag auf der Tagung "Towards New Thinking in Urban Historiography. Old Texts, New Approaches. A Reconsideration of Urban Historical Consciousness in Northwest Europe. Universiteit Gent/Universiteit Antwerpen/KU Leuven, Brügge, 20.-21.05.2015.

Serif, Ina: Städtische Geschichts­schreibung in neuen Kontexten. Vernetzung, Aneignung, (Re-)Funktionalisierung am Beispiel der Chronik Jakob Twingers von Königshofen. Vortrag auf der Doktorierendentagung L’Alsace et le Rhin supérieur au Moyen Âge. Elsass und Oberrhein im Mittelalter, UHA Mulhouse, 3.-4.06.2016.