Was ist städtische Geschichtsschreibung? Revision eines Forschungsfelds | What is urban historiography? A revision
Tagung | Conference
Freiburg i. Br.
22.- 24.03.2017, Haus zur lieben Hand
Was ist vormoderne städtische Geschichtsschreibung? Eine nur scheinbar simple Frage, die sich nicht einfach beantworten lässt. Es existierte weder ein zeitgenössischer Gattungsbegriff noch ist es HistorikerInnen und LiteraturwissenschaftlerInnen bisher gelungen, sich auf eine allgemein akzeptable Definition zu einigen. Dennoch bestehen bestimmte Vorstellungen über die Charakteristika städtischer Geschichtsschreibung, die stark vom 19. Jahrhundert und den großen Editionsunternehmungen dieser Zeit beeinflusst sind. So wird angenommen, dass sich städtische Geschichtsschreibung thematisch vorrangig auf die Stadt als autonome politische Einheit bezieht und dass städtische Geschichtsschreibung daher vor allem ein Phänomen des römischen Reiches (einschließlich der Eidgenossenschaft) und Norditaliens sei.
Unter dem Einfluss postmodernen Denkens und des cultural turn wurden in den letzten Jahren neue Ansätze und Perspektiven zur Erforschung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Städte und deren Geschichtsschreibung entwickelt. Während die ältere Forschung am Phänomen der städtischen Einheit und dem Ausdruck eines einheitlichen bürgerlichen Selbstverständnisses interessiert war, betonen neuere Arbeiten die Heterogenität des städtischen Lebens in der Vormoderne. Städte werden als Orte hoher sozialer Differenzierung und verdichteter Kommunikation begriffen. Dementsprechend interagierten und konkurrierten auch im Umgang mit historischem Wissen verschiedene Akteure und Gruppen miteinander, unter ihnen Vertreter der Führungsschichten, Händler, Handwerker, Kleriker, Familien, Zünfte, Höfe, Residenzen oder Klöster. Spätmittelalterliche und frühneuzeitliche städtische Geschichtsschreibung sollte also nicht als eindimensionales Phänomen verstanden und analysiert werden, das vollständig von oben kontrolliert wurde, sondern vielmehr als Teil einer vielfältigen städtischen Erinnerungskultur. Außerdem muss der gängige geographische Fokus auf die deutschen und italienischen Städte hinterfragt werden, da aus den urbanisierten Regionen Flanderns, Nordfrankreichs und der Niederlande sehr ähnliche Quellen bekannt sind. Hinzu kommt, dass veränderte Methoden, die an den überlieferten Manuskripten statt an den edierten Texten ansetzen, zu neuen Sichtweisen geführt haben. Im Zentrum des Interesses stehen nun häufig die materiellen und medialen Eigenschaften der Handschriften sowie Transformationsprozesse auf der Textebene und intertextuelle Aspekte.
Wie beeinflussen diese Erkenntnisse weitere Forschungen, wie sollten Probleme angegangen und welche Methoden gewählt werden? Ein wichtige Frage, die aus der veränderten Perspektive auf die vormoderne Stadt wie auch auf die vormoderne städtische Geschichtsschreibung resultiert, ist: Was charakterisiert vormoderne städtische Geschichtsschreibung, wenn 'städtisch' weder synonym zu 'bürgerlich' verwendet werden, noch auf die Stadt als ausschließlich obrigkeitlich kontrollierte Institution bezogen werden kann? Um die neueren Forschungsergebnisse zusammenzufassen und über deren Auswirkungen auf die weitere Arbeit zu reflektieren, möchten wir Forscherinnen und Forscher zusammenbringen, die sich mit vormoderner städtischer Geschichtsschreibung befassen.
Zur Einordnung der unterschiedlichen Zugänge der letzten Jahre lassen sich folgende wichtige Forschungsfelder benennen: Identitäten, Motive, rivalisierende Erinnerungskulturen, Medialität und Öffentlichkeit, städtische und regionale Geschichtsschreibung sowie Textualität und hybride Textformen. Es ist außerdem notwendig, den nationalen Rahmen zu erweitern und verschiedene Regionen miteinander zu vergleichen und die jeweiligen nationalen Forschungstraditionen zu hinterfragen.
Tagungssprachen sind Deutsch und Englisch, englischsprachige Zusammenfassungen aller Beiträge werden zur Verfügung gestellt.
Sammelband „Städtisch, urban, kommunal. Perspektiven auf die städtische Geschichtsschreibung des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit“
Die Forschung zur städtischen Geschichtsschreibung des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit hat in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Impulse erhalten. Unter dem Einfluss postmodernen Denkens und des cultural turn wurden neue Ansätze und Perspektiven zur Erforschung von Städten und ihrer Geschichtsschreibung entwickelt. Der vorliegende Band bietet hierzu erstmals eine Standortbestimmung. Die Beiträge leisten eine kritische Rückschau auf die Ergebnisse einflussreicher Studien unter diesen veränderten Vorzeichen, präsentieren die Zugänge aktueller Projekte und formulieren Thesen zu wichtigen Themen des Forschungsfelds. Aus dieser Zusammenführung und Reflexion ergeben sich perspektivisch neue Forschungsfragen.
Pia Eckhart / Marco Tomaszewski (Hrsg.): Städtisch, urban, kommunal. Perspektiven auf die städtische Geschichtsschreibung des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, Göttingen 2019.
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Kontakt/contact und Anmeldung/enrolement an:
Dr. Pia Eckhart Wissenschaftliche Mitarbeiterin Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte II Historisches Seminar Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Tel: +49(0)761/203-3446 pia.eckhart@geschichte.uni-freiburg.de |
Marco Tomaszewski Wissenschaftlicher Mitarbeiter Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte II Historisches Seminar Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Tel. +49(0)761/203-3452 marco.tomaszewski@geschichte.uni-freiburg.de |